Die Reise eines Teeblatts von der Ernte bis zur fertigen Teesorte ist ein Prozess, der durch jahrhundertealte Traditionen, Handwerkskunst und präzise Wissenschaft geprägt ist. Dabei entscheidet die Art der Verarbeitung, ob aus den frischen Blättern Grüner Tee, Schwarztee, Weisser Tee oder Oolong wird. Hier werfen wir einen detaillierten Blick auf die faszinierenden Schritte, die aus einem Blatt die unterschiedlichen Teesorten entstehen lassen.
1. Die Grundlage: Welche Teile der Pflanze geerntet werden
Die Camellia sinensis ist eine erstaunliche Pflanze, deren verschiedene Teile unterschiedlich geerntet und verarbeitet werden, um die Vielfalt der Teesorten hervorzubringen. Besonders hochwertiger Tee entsteht aus den jüngsten Blättern und der Knospe – oft als „Two Leaves and a Bud“ bezeichnet. Diese Blätter sind reich an Aromen und Inhaltsstoffen und bilden die Grundlage für alle echten Teesorten.
Geerntete Teile der Pflanze:
- Junge Blätter: Diese werden bevorzugt geerntet, da sie die höchste Konzentration an Aminosäuren und ätherischen Ölen enthalten. Sie sind der Schlüssel zu Premium-Tees.
- Knospen: Die silbrigen Spitzen, auch als „Silver Tips“ bekannt, sind besonders für Weissen Tee wertvoll, da sie einen milden, süssen Geschmack verleihen.
- Reifere Blätter: Diese werden oft für kräftigere Tees wie Pu-Erh oder niedrigere Qualitäten von Schwarztee verwendet.
Die Erntezeit und die Methode haben einen grossen Einfluss auf den späteren Geschmack und die Qualität:
- Frühlingspflückung (First Flush): Liefert leichte, florale Aromen.
- Sommerpflückung (Second Flush): Ergibt vollmundige, kräftigere Tees.
- Herbstpflückung: Bietet erdigere und stärkere Aromen.
2. Verarbeitungsschritte: Vom Blatt zur Teesorte
Nach der Ernte durchlaufen die Blätter eine Reihe von Verarbeitungsschritten, die den Charakter und die Sorte des Tees bestimmen. Dabei sind die Unterschiede oft subtil, aber entscheidend.
Welken
Das Welken ist der erste Schritt in der Verarbeitung. Die frisch geernteten Blätter werden in dünnen Schichten ausgebreitet, um ihren Wassergehalt um etwa 30-50 % zu reduzieren. Durch diesen Prozess werden die Blätter weich und flexibel, sodass sie in den nächsten Schritten besser bearbeitet werden können.
- Wirkung auf die Teesorte: Welken ist ein universeller Schritt, der bei fast allen Teesorten vorkommt. Es beeinflusst die Intensität der Aromen und bereitet die Blätter auf die nächste Phase vor.
Rollen
Während des Rollens werden die Zellwände der Blätter mechanisch oder von Hand aufgebrochen. Dabei werden ätherische Öle und Enzyme freigesetzt, die die Aromen und die chemische Zusammensetzung des Tees prägen.
- Bei Grüntee: Das Rollen sorgt dafür, dass die Blätter ihre Form behalten, ohne dass eine Oxidation eintritt.
- Bei Schwarztee: Hier ist das Rollen der entscheidende Schritt, der die Oxidation vorbereitet.
Oxidation
Die Oxidation ist einer der zentralen Prozesse bei der Herstellung von Tee. Sie beschreibt die chemische Reaktion der in den Blättern enthaltenen Enzyme mit Sauerstoff.
- Grüntee: Die Oxidation wird durch Erhitzen oder Dämpfen sofort gestoppt. Dadurch behalten die Blätter ihre grüne Farbe und ihre frischen, grasigen Aromen.
- Schwarztee: Die Blätter werden vollständig oxidiert. Dieser Prozess verleiht dem Tee seine dunkle Farbe und kräftige, malzige Aromen.
- Oolong: Der Tee wird nur teilweise oxidiert, sodass er ein komplexes Aroma zwischen Grün- und Schwarztee entwickelt.
Erhitzen (Fixieren)
Das Fixieren stoppt die Oxidation durch die Anwendung von Hitze. Je nach Teesorte wird diese Phase unterschiedlich gestaltet:
- Japanischer Grüntee: Die Blätter werden gedämpft, was den frischen Geschmack betont.
- Chinesischer Grüntee: Die Blätter werden geröstet, wodurch sie eine nussige Note erhalten.
Trocknen
Das Trocknen ist der letzte Schritt, um die Blätter haltbar zu machen. Der Wassergehalt wird auf etwa 3 % reduziert, wodurch die Teeblätter ihr Aroma bewahren und länger gelagert werden können.
- Weisser Tee: Trocknen ist oft der einzige Verarbeitungsschritt, wodurch dieser Tee besonders leicht und natürlich bleibt.
- Schwarztee und Oolong: Das Trocknen intensiviert die Aromen und fixiert den Geschmack.
Fermentation
Fermentation ist ein spezieller Prozess, der vor allem bei Pu-Erh-Tee Anwendung findet. Dabei werden die getrockneten Teeblätter gezielt einer mikrobiellen Aktivität ausgesetzt. Dieser Prozess kann über Wochen, Monate oder sogar Jahre andauern und verleiht dem Tee seine tiefen, erdigen Aromen.
- Unterscheidung zur Oxidation: Während die Oxidation eine chemische Reaktion mit Sauerstoff ist, handelt es sich bei der Fermentation um einen biologischen Prozess, der durch Mikroorganismen wie Pilze oder Bakterien hervorgerufen wird.
- Endprodukt: Pu-Erh und andere fermentierte Teesorten erhalten durch die Fermentation ihren charakteristischen Geschmack und eine erhöhte Haltbarkeit.
Sortieren und Formen
Nach dem Trocknen werden die Blätter sortiert und geformt. Dies kann bedeuten, dass sie zu Kugeln (z. B. bei Gunpowder-Tee) oder langen Nadeln (z. B. bei Longjing) gerollt werden.
3. Wie die Verarbeitung die Teesorte bestimmt
Jede Teesorte entsteht durch die spezifische Kombination und Abfolge der beschriebenen Verarbeitungsschritte. Diese Prozesse sind nicht nur handwerklich, sondern auch wissenschaftlich fundiert, da jede kleine Veränderung in den Methoden zu einem völlig neuen Charakter des Endprodukts führen kann. Im Folgenden beschreiben wir detailliert, wie sich die einzelnen Teesorten entwickeln:
Grüntee
Grüntee zeichnet sich durch seine frischen, grasigen und manchmal nussigen Aromen aus. Seine Herstellung betont den Erhalt der natürlichen Farbe und der Inhaltsstoffe der Teeblätter.
- Welken: Die Blätter werden leicht entwässert, um sie geschmeidig zu machen, aber ohne das Aroma zu stark zu beeinflussen.
- Rollen: Die Blätter werden vorsichtig gerollt, um ihre Form zu definieren und ätherische Öle freizusetzen.
- Fixieren: Um die Oxidation zu verhindern, werden die Blätter schnell erhitzt:
- Japanischer Stil: Dämpfen der Blätter bewahrt die grüne Farbe und verleiht dem Tee frische, pflanzliche Noten.
- Chinesischer Stil: Durch Rösten in Woks entstehen zusätzlich nussige Aromen.
- Trocknen: Der Wassergehalt wird auf etwa 3 % reduziert, um die Haltbarkeit zu gewährleisten.
Endergebnis: Eine leuchtend grüne Farbe, leichte Bitterkeit und komplexe Aromen, die je nach Region variieren können.
Schwarztee
Schwarztee ist die am stärksten oxidierte Teesorte und bietet kräftige, vollmundige Aromen.
- Welken: Der Prozess dauert länger als bei Grüntee, wodurch mehr Wasser entzogen wird und die Blätter weicher werden.
- Rollen: Die Zellstrukturen werden bewusst aufgebrochen, um die Oxidation zu fördern. Dies gibt dem Tee seine typischen malzigen und würzigen Noten.
- Oxidation: Die Blätter werden vollständig oxidiert, was zu einer tiefbraunen bis schwarzen Farbe führt. Während dieses Prozesses entwickeln sich komplexe Geschmacksprofile, die von Schokolade bis zu getrockneten Früchten reichen können.
- Trocknen: Der Tee wird getrocknet, um die Aromen zu fixieren und ihn haltbar zu machen.
Endergebnis: Ein dunkler, aromatischer Tee mit reichhaltigen, manchmal süssen oder würzigen Noten.
Oolong
Oolong liegt zwischen Grün- und Schwarztee und bietet eine beeindruckende Bandbreite von floralen, fruchtigen bis hin zu holzigen Aromen.
- Welken: Die Blätter werden unter kontrollierten Bedingungen gewelkt, um die Aromenvielfalt zu fördern.
- Rollen: Je nach gewünschtem Charakter werden die Blätter leicht oder stark gerollt.
- Teilweise Oxidation: Der Prozess wird genau überwacht, und die Oxidation wird bei einem bestimmten Punkt gestoppt – normalerweise zwischen 15 % und 80 %. Dieser Schritt erzeugt die charakteristische Balance zwischen Frische und Tiefe.
- Trocknen: Zum Schluss werden die Blätter erhitzt, um die Oxidation vollständig zu stoppen.
Endergebnis: Vielschichtige Aromen, die von Honig und Pfirsich bis zu Röstaromen reichen.
Weisser Tee
Weisser Tee ist die am wenigsten verarbeitete Sorte, was seine Zartheit und Reinheit bewahrt.
- Welken: Die Blätter und Knospen werden langsam an der Luft getrocknet, oft unter natürlichen Bedingungen. Dies verleiht dem Tee eine natürliche Süsse.
- Trocknen: Direktes Trocknen ohne weitere Verarbeitung sorgt dafür, dass der Tee so naturbelassen wie möglich bleibt.
Endergebnis: Ein subtiler, leichter Geschmack mit blumigen und manchmal fruchtigen Noten.
Gelber Tee
Gelber Tee ist eine seltene und aufwendige Teesorte, die zwischen Grün- und Weisstee angesiedelt ist. Er zeichnet sich durch seinen milden, süssen Geschmack aus, der weniger grasig als Grüntee ist.
- Welken: Ähnlich wie bei Grüntee, wobei die Blätter leicht entwässert werden.
- Fixieren: Die Oxidation wird zunächst gestoppt, um die grüne Farbe zu bewahren.
- Vergilben: Der entscheidende Schritt. Die Blätter werden in kleinen Mengen gestapelt und mit einem Tuch abgedeckt. In diesem feuchten Mikroklima oxidieren die Blätter leicht und nehmen eine gelbliche Färbung an. Dieser Prozess dauert mehrere Stunden bis Tage und entwickelt die charakteristische Süsse.
- Trocknen: Die Blätter werden getrocknet, um den Vergilbungsprozess zu beenden.
Endergebnis: Ein milder, weicher Tee mit Noten von Honig und Heu, der weniger herb als Grüntee ist.
Pu-Erh
Pu-Erh ist eine fermentierte Teesorte, die für ihre erdigen und reifen Aromen bekannt ist.
- Welken: Der erste Schritt entspricht dem anderer Teesorten.
- Rollen: Die Zellwände werden aufgebrochen, um den Fermentationsprozess zu unterstützen.
- Fermentation: Hier liegt der Schlüssel: Die Blätter werden gezielt einer mikrobiellen Aktivität ausgesetzt. Traditionell geschieht dies durch Stapelung der Blätter, wodurch sie unter feuchten Bedingungen fermentieren. Der Prozess kann Monate oder Jahre dauern.
- Reifung: Pu-Erh-Tee wird oft über Jahrzehnte gereift, was ihm seine charakteristische Tiefe und Komplexität verleiht.
Endergebnis: Ein tiefes, erdiges Aroma, oft mit Nuancen von Holz, Pilzen und manchmal einer leichten Süsse.
Fazit: Die Wissenschaft der Verarbeitung
Die Kunst der Teeverarbeitung ist ein präziser und facettenreicher Prozess, der durch die Kombination aus Handwerk, Tradition und Innovation geprägt ist. Jede kleine Veränderung im Ablauf kann den Charakter des Tees komplett verändern und so eine unendliche Vielfalt an Geschmacksrichtungen und Aromen schaffen. Hinter jeder Tasse Tee steckt nicht nur ein Blatt, sondern auch eine ganze Geschichte.
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